Karin Daum

  

What's behind?

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Video vom Aufbau im Brunswiker Pavillon, Kiel

What's behind? - Diese Frage, die Frage nach dem, was dahinter steht, warum es uns gibt und warum es so ist, wie es ist, stellt sich die Menschheit, seitdem der Mensch Bewusstsein erlangt hat. Sie ist der Ursprung für Religionen, die auch versuchen, Erklärungen zu liefern, und, da der Mensch sich als “Wesen” begreift, sind es ein oder mehrere “höhere Wesen”, Gott oder Götter, die für die Beantwortung des dem Menschen Unbegreiflichen benötigt werden.

“What’s behind?” - Das ist auch die Antriebsfeder in der Wissenschaft - die Neugier, die Suche nach dem Verstehen. Die wissenschaftliche Forschung ist ein kontinuierlicher Prozess des Erkenntnisgewinns der Menschheit. Sie ist ein fortwährender, kollektiver Prozess, nicht nur von Einzelnen und nicht auf einzelne Regionen der Erde beschränkt.

In dieser Arbeit soll das Bestreben nach Erkenntnisgewinn der Menschheit visualisiert werden. Ein Fokus der Frage “What’s behind?” ist, warum es uns, das heisst unser Sonnensystem, unsere Erde gibt. Dieser Aspekt steht im Zentrum der Astronomie und der Astro- und Elementarteilchenphysik. Unser heutiges Verständnis ist in dem “Big Bang” Modell formuliert. Hinzukommt die Frage nach dem Ursprung des Lebens und ob es allgemeingültige Bedingungen für und Grundformen von Leben gibt. Auch das gehört zu “What’s behind?”. Nach Antworten auf diese Frage wird in der (Astro-)Biologie und der Biochemie gesucht. Unserer gegenwärtiges Verständnis ist hier noch sehr beschränkt, so dass wir bisher kein wirkliches Modell zur Beantwortung dieser Frage entwickelt haben.

Die schwarz verhüllte Stele hat für sich allein etwas Mystisches. Schon durch ihre Größe ermöglicht sie Assoziationen zu Kultstätten. In vielen Kulturen kommt der Sonne eine besondere Bedeutung zu. In den Kultstätten gibt es oft eine bevorzugte Richtung, die sich auf den Sonnenstand zu einem bestimmten Zeitpunkt bezieht. So auch bei dieser Arbeit. Die Stele ist auf den Sonnenaufgang zum Sommeranfang ausgerichtet, wodurch sie sich als eine Weiterentwicklung frühere Kulturen einreiht.

Ein kleiner Bereich der Verhüllung ist aufgerissen und gibt einen Teil des Monolithen frei, in den eine weiße Schrift eingraviert ist. Diese sichtbare Stelle des Monolithen ist ganz nach oben gerückt. Der Betrachter, der sich auf dieses Kunstwerk einlässt, muss den Blick heben, um die Schrift zu sehen. Unweigerlich nimmt er damit eine “andächtige, religiöse” Haltung ein, wie er es auch an Stätten anderer Kulturen tun würde.

Der Text auf dem Monolithen scheint dem Betrachter wie aus einer anderen Welt zu sein, wie etwa die Hieroglyphen der Ägypter, die Keilschrift der Sumerer oder die Schriftzeichen der Maya. Die Formeln auf der Stele entstammen einer Geheimsprache, der Mathematik und Chemie, mit der die Menschheit versucht, die Frage “What’s behind?” zu beantworten.

Wenn der Betrachter sich darauf einlässt und versucht, sich mit der Schrift auf der Stele auseinanderzusetzen, dann wird er sich fragen: Was soll das? Was steckt dahinter? Damit ist er genau bei der Frage: ”What’s behind?” Hierdurch und durch seinen nach oben gerichteten Blick wird der Betrachter Bestandteil der Installation.

Nur ein kleiner Bereich des Monolithen ist dem Betrachter freigegeben, das Wesentliche bleibt der Menschheit verborgen. Es ist nicht nur von einem schweren, schwarzen Tuch verhüllt, sondern auch mit dicken Seilen fest verschnürt. Es ist ein immer währender Kraftakt, Erkenntnis zu erlangen.

Die Stele symbolisiert auch mein wissenschaftliches Leben. Getrieben werde ich von der Frage, warum etwas so ist, wie es ist, also “What’s behind?” Im wissenschaftlichen Leben versuche ich, "meine persönliche Stele" aus der Verhüllung und Verschnürung zu befreien, ein täglicher Kraftakt zwischen Falsch und Richtig. Wann immer ein kleines Stück freigelegt ist, wird das verhüllte Stück größer. Das ist nicht frustrierend, die Frage: “What’s behind?” ist einfach zu groß, so fordernd. Ich kann das akzeptieren.

Eine Geschichte mit drei Kapiteln

Der aufgerissene Berich der Verhüllung gibt den Blick auf einen kleinen Teil dreier an einander grenzender Flächen frei. Die dort zu sehende Schrift erzählt die Geschichte in drei Kapiteln: “Der Anfang”, “Licht” und “Leben”. Die Formeln, oder genauer gesagt Sätze, sind nicht beliebig aneinandergereiht, sondern sie geben in sehr stark komprimierter Form meine momentane Antwort auf die Frage: “What’s behind?” wider.

Kapitel EINS: Der Anfang

Kapitel EINS erzählt die Geschichte vom Anfang des Universums. Dabei werden die einzelnen Stationen (wissenschaftlich: Phasen) der Entwicklung der ersten 380 000 Jahre mit für mich kennzeichnenden Sätzen beschrieben.

Kapitel ZWEI: Licht

Viel, viel später kommt es in der Geschichte des Universums zu Kapitel ZWEI. Es handelt von der Entstehung von Licht und beschreibt die Entwicklung von einer Molekülwolke hin zur Entstehung eines Sterns. Für einen Stern, wie unsere Sonne, wird hier, mit Ausnahme des letzten Satzes, der Verlauf über einen Zeitraum von rund 30 Millionen Jahren beschrieben. Der letzte Satz dauert für unseren Stern rund 10 Milliarden Jahre, von denen etwa die Hälfte verstrichen ist.

Kapitel DREI: Leben

Das letzte Kapitel, Leben, schildert die Geschichte vom Leben, in der Form, wie wir es kennen. Es beginnt mit den noch recht einfachen Molekülen, die für die Existenz von Leben in der uns bekannten Form unverzichtbar sind, zum Beispiel: Wasser, Blausäure, Aldehyde, Alkohole, Schwefelwasserstoffe, Phosphorverbindungen oder Kohlenwasserstoffe... Verglichen zu der Chemie der uns bekannten Lebensformen sind diese Moleküle sehr, sehr einfach, wenn man aber ihre Erzeugung in den interstellaren Wolken in den aktiven Regionen der Sternenerzeugung betrachtet, sind sie doch schon extrem kompliziert. Dieses Kapitel endet mit einem ganz winzigen Satzfragment aus der DNA, der Information, das Leben in der uns bekannten Form. Die Zeitskala in diesem Kapitel beträgt für Leben auf unserem Planeten nach heutiger Kenntnis fast vier Milliarden Jahre.


Epilog

Obwohl ich nun fast vierzig Jahre in der Grundlagenforschung tätig bin und mich dort auch eine Zeit lang intensiv mit Kosmologie und Astrophysik beschäftigt habe, lässt mich diese Arbeit in Ehrfurcht vor dem Zufall, dem Grossen, dem Kosmos, dem Leben zurück, sich wieder einmal bewusst zu werden, wie das Eine das Andere bedingt, wie wichtig die Zeitskalen sind, die astrophysikalischen Prozesse, dass es etwa erst die massiven, kurzlebigen Sterne durch das “Ausbrüten” schwerer Atomkerne ermöglichen, dass sich bei geeigneten Bedingungen auf Planeten von leichten, langlebigen Sternen, wie unsere Sonne oder leichter, Leben in der Form, wie wir es kennen, entwickeln kann…

Es ist ein Zufall, dass alle notwendigen Bedingungen für Leben auf unserm Planeten zusammengetroffen sind. Aber gerade dieser Zufall und die geringe Wahrscheinlichkeit, dass alle notwendigen Bedingungen zusammentreffen, bedeutet aber auch, dass es aufs Ganze betrachtet nichts Besonderes ist, “wir sind nicht allein”, das es eine chemische Evolution, die die Grundlage unserer Existenz bildet, auf vielen anderen Planeten im Universum gegeben haben muss oder gibt. Bei vergleichbaren Bedingungen sollten auf grossen Zeitskalen die gleichen chemischen Prozesse ablaufen, das heisst auch, dass Leben als sich selbst replizierende, in einem Containment eingeschlossene Information, deren Replikationsrate deren Mortalitätsrate übersteigt, im welcher Realisierung auch immer, vielfältig im Universum existieren muss. In wie weit Leben in der gerade gegebenen Definition auch auf anderen chemischen Bausteinen basieren kann, als denen, auf denen uns bekanntes Leben aufgebaut ist, ist dabei vollkommen offen. Berücksichtigt man aber, dass die chemische Zusammensetzung in allen erforschten Bereichen des Universums sehr ähnlich ist, mit großen Anteilen von Kohlenstoff (C), Sauerstoff (O) und Stickstoff (N) sowie nennenswerten Anteilen von Schwefel (S) und Phosphor (P) neben den dominierenden Wasserstoff (H), ist jedoch zu vermuten, dass die Chemie von Lebensformen in anderen Sonnensystemen mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls auf diesen Elementen basieren wird.

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